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Digitalisierung im Gesundheitswesen: Die Versorgung der Zukunft

Automatisierte Triage in der Notaufnahme, Monitoring der Gesundheitsdaten per App oder Arzttermine per Videochat: Von der Digitalisierung im Gesundheitswesen profitieren nicht nur Patienten, sondern auch medizinisches Personal und das Gesundheitssystem als Ganzes. Welche Bereiche sind heute schon digitalisiert – und wie sieht die Zukunft des Gesundheitswesens aus?

Kaum ein Bereich hat in den vergangenen Monaten mehr Fortschritte hinsichtlich der Digitalisierung erzielt als das Gesundheitswesen. Videosprechstunden sind flächendeckend verfügbar, die elektronische Patientenakte wurde eingeführt, das E-Rezept steht bevor – nur um einige der Meilensteine zu nennen. Die Digitalisierung ermöglicht es zum einen, einzelne Akteure wie Ärzte, Pflegepersonal, Apotheken oder Krankenhäuser besser miteinander zu vernetzen. Dadurch können vor allem zeitaufwendige Aktivitäten automatisiert und vereinfacht werden, sodass mehr Zeit für die Behandlung von Patienten bleibt. Zum anderen profitieren auch die Forschung sowie die Diagnostik von der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung: Umfangreiche Gesundheitsdatensätze können analysiert, Vorhersagen besser getroffen werden. Die Krankheitsbehandlung selbst kann mit digitalen Systemen unterstützt werden – aus der Ferne mit digitalen Apps und Sensoren, aber auch vor Ort während eines Eingriffs im OP-Saal. 

Wie steht es um die Digitalisierung im Gesundheitswesen in Deutschland?

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hat Deutschland bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen noch Nachholbedarf. Wie die Bertelsmann Stiftung in der #SmartHealthSystems Studie 2018 feststellte, belegten in Europa Länder wie Estland, Dänemark oder Spanien in Sachen digitale Gesundheitsversorgung die ersten Plätze. Deutschland lag hingegen auf dem vorletzten Platz – so war eine übergeordnete strategische Orientierung für die Digitalisierung nicht erkennbar, es fehlte an bundesweit gültigen Standards oder Verpflichtungen für Gesundheitsanwendungen. Doch das soll sich jetzt ändern. Gerade durch die Pandemie wurde die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens enorm beschleunigt. Einzelne Insellösungen weichen einheitlichen Systemen – wie der elektronischen Patientenakte, in der Patienten ihre Gesundheitsinformationen zentral speichern und einfacher an die verschiedenen behandelnden Ärzte weitergeben können. Nun gilt es, diese Fortschritte auch auf die Zeit nach der Pandemie zu erweitern und neue Digitalisierungsmaßnahmen zu treffen. 

Auch wenn Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern hinsichtlich der Digitalisierung im Gesundheitswesen noch am Anfang steht, spielen auch hierzulande digitale Angebote eine immer größere Rolle. Gerade bei internen Prozessen und Terminbuchungen setzen viele Arztpraxen auf digitale Programme, um die Arbeitsabläufe zu optimieren und zu automatisieren. Ab 2022 wird das E-Rezept flächendeckend in Deutschland zum Standard bei der Arzneimittelverschreibung werden. Und schon seit Anfang 2021 kann jede gesetzlich versicherte Person bei der Krankenkasse eine elektronische Patientenakte beantragen – dafür sorgt das Terminservice- und Versorgungsgesetz.

Die Möglichkeiten der digitalen Technologien

Die Digitalisierung der deutschen Gesundheitsbranche wächst stetig. Immer mehr Unternehmen entwickeln neue Technologien, die den Alltag von Patienten, Ärzten, Pflegern & Co. verbessern und vereinfachen sollen. In unserem Podcast „Diagnose: Zukunft“ sprechen wir regelmäßig mit Gründern, Forschern oder Ärzten über aktuelle Innovationen und die damit verbundenen Möglichkeiten. Welche Bereiche sind bereits digitalisiert – und welche Technologien sollen bald Einzug in die Gesundheitsbranche halten?

Die Digitalisierung von Arbeitsabläufen im Gesundheitswesen

Einer der elementaren Schritte der Digitalisierung der Gesundheitsbranche ist die Optimierung und Automatisierung von Arbeitsabläufen. Das mag im ersten Moment nicht direkt spürbar für den Patienten sein. Allerdings können solche Technologien nicht nur Zeit einsparen, die dann für die Patientenversorgung genutzt werden kann, sondern sie heben auch die Qualität der Versorgung enorm an. Vor allem die Digitalisierung der Patientendaten erleichtert hier bereits vieles. Durch die Veränderung von einer papierbasierten Dokumentation hin zu einer digitalen kann das Pflegepersonal sämtliche Informationen zu einem Patienten direkt via Tablet abrufen und gesammelt einsehen. Unterstützung kann dieser Prozess durch weitere Technologien erhalten, wie zum Beispiel durch digitale Dokumentationstools wie „voize“. „voize” ist ein digitaler Sprachassistent, der besonders in der Pflege zum Einsatz kommt. Dabei kann das Pflegepersonal die Informationen einfach per Smartphone einsprechen, „voize” integriert dann die Dokumentationseinträge direkt im internen Pflegedokumentationssystem und filtert und strukturiert dabei die wichtigsten Informationen. 

Für Krankenhäuser und Notaufnahmen können solche Dokumentationshilfen auch nützlich sein. Hinzu kommen digitale Krankenhausinformationssysteme und Notaufnahmen-Informationssysteme wie beispielsweise ERPath. ERPath optimiert alle Prozesse innerhalb der Notaufnahme vom Eintreffen des Patienten über die Entscheidungsunterstützung mithilfe von integrierten Triage-Systemen und Behandlungspfaden bis hin zur Abrechnung. Das verkürzt die Wartezeiten für Patienten und verbessert die Behandlungsqualität, vereinfacht aber auch den Alltag des medizinischen Personals. 

Auch das E-Rezept, das 2022 in ganz Deutschland verfügbar sein wird, verändert und verbessert die Arbeitsabläufe in den Arztpraxen und Apotheken. Damit werden sämtliche Schritte im Verordnungsprozess digitalisiert: Der Arzt kann Rezepte künftig mit wenigen Klicks erstellen und ohne Umwege in die App des Patienten übermitteln. Die Dokumentation über die verordneten Medikamente erfolgt automatisch und kann auf Wunsch auch in der elektronischen Patientenakte gespeichert werden. Und Apotheken müssen die E-Rezepte nicht mehr händisch prüfen und erfassen, was eine mögliche Fehlerquelle beseitigt.

Die Digitalisierung in der Krankheitsbehandlung

Auch für die Therapie der Patienten eröffnet die Digitalisierung neue Möglichkeiten. Sowohl aus der medizinischen Forschung als auch aus dem praktischen Alltag sind digitale Technologien nicht mehr wegzudenken. In der Forschung helfen vor allem künstliche Intelligenz und Machine Learning dabei, große Datensätze zu systematisieren. So können beispielsweise Wirkungsweisen von bestimmten Arzneimittelsubstanzen besser vorhergesagt werden. Auch in der Früherkennung von Krankheiten kommt Machine Learning zum Einsatz: So kann das Verhalten bestimmter Zellen analysiert und vorhergesagt werden, bevor die Symptome erstmals auftreten. Wie genau das funktioniert, erklärt in der 20. Folge unseres Podcasts Systembiologe Prof. Dr. Nikolaus Rajewsky.

Einen für Patienten unmittelbar spürbaren Effekt haben Entwicklungen wie Telemedizin oder Fernbehandlung. Hier spielen besonders die Online-Sprechstunden eine Rolle. Patienten können damit bequem von zu Hause aus mit ihrem Arzt kommunizieren. Mit der digitalen Sprechstunde kommen viele Vorteile für Arzt und Patient einher, denn neben der Zeitersparnis werden auch mögliche Ansteckungen vermieden. Das elektronische Rezept bringt für die Telemedizin weitere Vorteile mit sich, da die Verordnung digital an den Patienten übermittelt werden kann und Vor-Ort- sowie Versandapotheken das verordnete Arzneimittel direkt nach Hause liefern.

Ein weiteres Anwendungsgebiet der Telemedizin ist das Telemonitoring. Dabei können durch die Verknüpfung verschiedener Geräte ausschlaggebende Parameter aus der Ferne gemessen und überwacht werden. Besonders bei chronisch kranken Patienten oder Patienten mit Herzschrittmacher kann das die Anzahl der notwendigen Arztbesuche reduzieren. Die Werte werden einfach kontinuierlich aus der Ferne gemessen und überwacht.

In Krankenhäusern kann in Zukunft ein ähnliches Konzept zum Einsatz kommen, die „Electronic Intensive Care Unit” (eICU). Damit können Vitalparameter von Intensivpatienten digital überwacht werden. Durch die digitale Übertragung der Werte auf ein Endgerät kann das Pflegepersonal Intensivpatienten rund um die Uhr im Auge behalten, auch wenn es nicht vor Ort ist. 

Eine weitere digitale Hilfe ist die Robotik, die Chirurgen bei Operationen unterstützt und bereits in vielen Ländern, darunter auch Deutschland, zum Einsatz kommt. Sich von einem Roboter operieren zu lassen, mag im ersten Moment irritieren – allerdings handelt es sich in den meisten Fällen nicht um eine vollautomatisierte OP. Der Chirurg bedient den Roboter selbst, demnach „assistiert“ der Roboter lediglich und unterstützt ihn bei Eingriffen. Dabei wird beispielsweise das natürliche Zittern der Hand des Chirurgen in der Bewegung herausgefiltert und ermöglicht dadurch ein noch sauberes Arbeiten.

Digitale Gesundheitsanwendungen und Apps

Auch diverse digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) und Apps können den Patienten den Alltag erleichtern. Seit Ende 2020 können bestimmte zertifizierte DiGAs in Deutschland von Ärzten und Therapeuten als Teil der Krankheitsbehandlung verschrieben werden – wie bei Medikamenten oder Therapien beteiligen sich Krankenkassen an den Kosten. Das Spektrum der DiGAs ist sehr vielfältig: So gibt es Unterstützung für Menschen die mit Migräne, Diabetes, depressiven Erkrankungen oder multipler Sklerose leben. 

Meist funktionieren solche digitalen Apps ohne weitere Hilfsmittel, manchmal dient die App als Software-Unterstützung einer weiteren (Hardware-)Technologie – so zum Beispiel bei „inContAlert”, einem digitalen Sensor für Patienten mit Blasendysfunktion. In „Diagnose: Zukunft“ erklärt der Gründer Dr. Jannik Lockl das Funktionsprinzip: Bei inContAlert wird eine kleine Sensoreinheit auf die Höhe der Blase positioniert, die mithilfe von Nahinfrarotstrahlung kontinuierlich den Füllstand der Blase misst und die entsprechenden Informationen direkt an die zugehörige App sendet. Damit können Patienten mit einer Blasendysfunktion ihre Blase besser kontrollieren und sich freier durch den Alltag bewegen.

Chancen & Hürden der Digitalisierung der Gesundheitsbranche

Die Chancen und der Nutzen eines digitalisierten Gesundheitssystems liegen auf der Hand: bessere, effektivere und einfachere Versorgung, sowohl für Patienten als auch für medizinische Leistungserbringer. Allein die Entwicklungen in der Früherkennung und Behandlung von Krankheiten zeigen den enormen Vorteil einer digitalisierten Gesundheitsversorgung. Auch dem Personalmangel in vielen medizinischen Bereichen kann entgegengewirkt werden, da bestimmte Abläufe automatisiert werden und damit das Personal entlastet wird.

Allerdings gibt es auf dem Weg zu einem digitalen Gesundheitswesen diverse Hürden, die es zu nehmen gilt. Gerade Patienten stehen vielen Digitalisierungsmaßnahmen aus Furcht um ihre Daten oft skeptisch gegenüber. Und auch vier von fünf Ärzten, die von der Bitkom 2020 zur Digitalisierung befragt wurden, sehen den Datenschutz als mögliches Hemmnis. 

Das Thema Datenschutz steht daher für das Bundesgesundheitsministerium an hoher Stelle: Es soll sichergestellt werden, dass die Datenhoheit beim Patienten verbleibt. Das unterstützen unter anderem auch das E-Health-Gesetz (2016) und das Digitale-Versorgung-Gesetz (2019). Aber auch hier gibt es alternative Lösungsansätze: In Folge #21 von Diagnose: Zukunft erklärt uns Stefan Adolf, wie eine dezentrale Version der elektronischen Patientenakte den Datenschutz gewährleisten kann. Und mit der Aktivistin Mina Luetkens diskutieren wir über Ideen und Maßnahmen, wie Patienten besser in Entscheidungsprozesse zur Entwicklung des Gesundheitswesens einbezogen werden können. 

Die Zukunft des digitalen Gesundheitswesens

Die Digitalisierung ist bereits in diversen medizinischen Bereichen Alltag und gerade die COVID-19-Pandemie hat die Expansion in weitere Bereiche beschleunigt. Dieser Fortschritt soll nun weitergedacht werden. Da sich der Markt rasant entwickelt, ist es schwer vorauszusehen, wie die Zukunft der Gesundheitsversorgung in einigen Jahren aussehen wird. Fest steht aber: Auch im Gesundheitswesen werden mehr und mehr digitale Anwendungen integriert und neue Technologien geschaffen werden.

Wenn Sie mehr über aktuelle Entwicklungen im Gesundheitswesen wissen möchten, empfehlen wir Ihnen unseren Podcast „Diagnose: Zukunft“! Dort werden wöchentlich Innovationen und Trends rund um E-Health vorgestellt und diskutiert.

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